Kevin Bowyer (German translation by Wolfgang Kleber): Sorabji’s Organ Symphony No. 1 (8/9)

In den Zwanziger- und Dreißigerjahren schrieb Sorabji mehrere Artikel über Orgelmusik (am meisten beachtet wurde sein Essay über die Orgelwerke Max Regers) und viele Rezensionen von Orgelkonzerten u.a. von G. D. Cunningham, Germani und Albert Schweitzer. In diesen Texten war Sorabji immer direkt, schonungslos und ohne Umschweife, „… gegen die Krankheit der Musikkritiker, das schwammige, heuchlerische, vornehme Eunuchentum …“. Wenn ihm etwas nicht gefallen hatte, dann sagte er es deutlich. Es lohnt sich, einige seiner Besprechungen ausführlich zu zitieren, da sie aufschlußreich für sein tiefes Verständnis des Orgelspiels sind. Aber Vorsicht! Einiges mag für manche schwer verdaulich sein …

Aus The New Age, 26. Dezember 1929: „Alexandra Palace. Organ Recital. 7. Dezember (Mr. G. D. Cunningham)

„Besser als die meisten meiner musikalischen Zeitgenossen weiß ich, daß Orgelspielen oft nur in der Art von Dorforganisten oder von Mr. Ernest Newman gesehen wird, der denkt, daß die Musik immer angehalten werden muß, wenn der Organist die Register wechselt, oder daß sie nach dem Kriterium beurteilt wird, ob der Organist auch nicht den Daumen auf einer Obertaste benutzt. In den vergangenen Tagen habe ich zweimal die lange und gefährliche Reise in das nördliche Hochland unternommen, um die restaurierte, renovierte und modernisierte Orgel zu hören, zur Zeit ihrer Erbauung im Jahre 1875 eines der bemerkenswertesten Produkte dieses Prinzen der Orgelbauer, „Father“ Henry Willis.
… Mr. Cunningham, der offizielle Organist aus Birmingham, ist der beste englische Organist, den ich je gehört habe. Er schwelgte offensichtlich in dem vorzüglichen Instrument, und seine Musikalität, seine feine Klarheit der Artikulation — fatale Falle für 99 Prozent der Organisten, die an ihrer Besessenheit von dem prähistorischen Orgel-Legato leiden — seine elastische, biegsame und bewegliche Rhythmik, sein perfekter guter Geschmack der Registerwahl, seine ganz großartige Kontrolle über das Instrument kann nicht hoch genug gelobt werden. … als herrlichen Abschluß des Programmes spielte er die gewaltige Phantasie und Fuge über B-A-C-H von Reger … eine authentische, großartige Interpretation … Wie Cunningham den letzten Orgelpunkt der Fuge in einem gewaltigen Tempo spielte, und dennoch mit absoluter Deutlichkeit und all den Möglichkeiten, die das vorzügliche Instrument bietet, glaubt man nur, wenn man es selbst gehört hat. Rundherum eine wunderbare musikalische Erfahrung. Und nachdem ich Mr. Cunningham an diesem großartigen Instrument gehört habe, ziehe ich es vor, nicht viele Worte über das Konzert von Mr. Reginald Goss Custard vor vierzehn Tagen zu verschwenden … bei allem Respekt — Stil, Technik, Musikalität, Künstlertum — ich halte ihn nicht für wert, in der Klasse von Mr. Cunningham plaziert zu werden. Seine Artikulation ist verschwommen und nicht klar, seine Phrasierung nachlässig und undefiniert, sein Rhythmus verwischt und unsicher, seine Registrierung oft roh und geschmacklos, und seinem Spiel mangelt es, wie mir scheint, fast vollständig an kultiviertem musikalischen Stil.“

Aus The New Age, 30. Juni 1932:

„Dr. Schweitzers herausragende Bedeutung als Musikwissenschaftler (schlechtes Wort!) ist allen Schuljungen bekannt, tatsächlich ist es kaum zuviel, wenn man sagt, daß er und Professor Tovey die zwei größten lebenden Bach-Schüler sind, erst recht mit seiner enormen Bildung, (oder vielleicht ist es gerade deswegen, daß er sozusagen nicht die Stärke und Kraft von künstlerischen Persönlichkeiten besitzt, um das leblose Gewicht der puren Gelehrsamkeit damit auszugleichen). Er ist eine lebende Illustration für die Wahrheit von Busonis Satz: „Respekt? Die Klassiker werden vom Respekt umgebracht!“ In der Tat hat man das Gefühl, wenn man Dr. Schweitzer zuhört, daß die doppelt gebundene Unterwürfigkeit seiner Annäherung an Bach ihn und uns ziemlich gründlich davor bewahrt, von der Musik mehr als einen entstellten flüchtigen Eindruck zu bekommen. Man ertappt sich dabei, wieder und wieder an das Spiel eines anderen großen Schülers zu denken — Professor Toveys — das praktisch dieselben Mängel zeigt. Beide haben dieselben rhythmischen Schwächen, den selben Mangel an Gespür für Phrasierung, den selben Mangel an, was ich — gewiß etwas plump — den Sinn für architektonische Exposition nenne. Seine Technik hat so grundlegende Mängel, daß man den Eindruck hat, man lausche gespannt jemandem, der die Noten zum erstenmal sieht und versucht, sich seinen Weg durch ein unbekanntes Stück zu bahnen … Wenn jemand gebeten würde, zu beschreiben, was ihn am Spiel Dr. Schweitzers besonders beeindruckt, dann würde er die hölzerne Unflexibilität nennen, den großen Mangel an differenzierter und detaillierter Phrasierung, das Unkünstlerische.
In der Tat. Dr. Schweitzers großes humanitäres Werk als Mediziner mit seinem Hospital in Lambarene steht außer Zweifel, aber es liegt in der Natur der Dinge, daß die höheren Attribute eines Musikers nur erreichbar sind in der völligen Hingabe an die Kunst. Ich stelle es nicht nur in Frage, sondern ich streite es ab (weniger aus persönlicher Abneigung gegen humanitäre Aktivitäten), daß die feineren künstlerischen Fähigkeiten eingepflanzt oder kultiviert werden können — natürlich, sie können gehegt und entwickelt werden — wenn sie nicht schon angelegt sind. Genau das ist es aber, was ich bei Dr. Schweitzer vermisse; ich fühle im Gegenteil in seiner Psychologie eine grundsätzliche Blindheit für diese mehr transzendentalen Erwägungen, eine Gespürlosigkeit, die wie wiederholte Erfahrung zeigt, sehr eng mit der Gelehrtheit zusammenhängt. … Es gibt mindestens ein halbes Dutzend englische Organisten, die nicht nur genauso gute Musiker wie Dr. Schweitzer sind, sondern viel bessere Spieler. Hier nenne ich einige ihrer Namen: Dr. Harold Darke, Dr. Henry Ley, und ganz besonders Mr. Cunningham; und nebenbei sind einige von ihnen dem viel gepriesenen Dupré weit überlegen; auch wenn es nicht für höflich oder politisch geschickt gehalten wird, so etwas zu sagen.“

Aus The New English Weekly vom 25. Juni 1935:
„Salisbury Cathedral Organ Recital, 29. Juni, Sir Walter Alcock.

„… des Spielers Mangel an Frische kämpfte gegen rhythmische Präzision, und es gab eine generelle Nachlässigkeit in der Phrasierung, so daß, wer einen Künstler wie Cunningham gehört hat, kaum glücklich werden konnte.“