Kevin Bowyer (German translation by Wolfgang Kleber): Sorabji’s Organ Symphony No. 1 (6/9)

Aber die Erste Orgelsymphonie mußte bis zum 25. Juli 1987 warten, bis sie zum erstenmal komplett aufgeführt wurde. Dieses Ereignis fand in der Church of Holy Trinity, Sloane Street, London, statt als Teil eines internationalen Organistenkongresses. Bei dieser Gelegenheit spielte Thomas Trotter den Mittelsatz und ich die beiden Rahmensätze. Zuerst war ich 1979 als Student an der Royal Academy of Music auf die legendäre rot eingebundene Partitur gestoßen, die sofort meine Phantasie und Begeisterung weckte. Die Idee, das Werk während des Kongresses zu spielen, kam von Douglas Carrington, dem ich dafür immer dankbar bleiben werde. Nach der Aufführung schlug Chris Rice von Altarus Records vor, das Werk aufzunehmen. Ich hatte schon den Verdacht, daß in der veröffentlichten Partitur viele Druckfehler enthalten waren und verwendete für die Vorbereitungen der Aufnahme deshalb auch eine Fotokopie des Manuskriptes und ebenso einen (schlechten) Korrekturabzug des Komponisten (er hat augenscheinlich bei der Korrektur den Stichtag nicht einhalten können, denn zahlrciche Berichtigungen sind erst in das bereits fertig gestellte Exemplar eingetragen worden). Insgesamt sind in der Druckfassung von 1925 weit über tausend Druckfehler. Eine neu durchgesehene und verbesserte Ausgabe ging aus dieser Arbeit hervor, die ich dann bei der Aufnahme im April 1988 an der Harrison & Harrison Orgel in St. Mary Redcliffe, Bristol, verwendete. Die Gesamtdauer des Werkes beträgt etwas weniger als zwei Stunden; es hat wie auch die beiden späteren Orgelsymphonien drei Sätze.

Der erste Satz besteht aus einem Präludium, einer Passacaglia mit 81 Variationen und einem Postludium.

Der zweite Satz enthält Introduktion, Doppelfuge und Coda. Die Fuge erzeugt eine dunkle, ehrfurchtgebietende und übermenschliche, fast göttliche Strenge.

Der letzte Satz, der längste, ist eine Art freier Fantasie, basierend auf den vorangegangenen Hauptthemen.

Die vielleicht beste Beschreibung stammt von Sorabji selbst in einem Text über ein Werk von Delius:

„… die Leute werden meinen, daß ein Meisterstück von zusammenhängendem musikalischem Gedanken und intensiver innerer Logik wie The Song of the High Hills formlos sei, ein Werk, in welchem jeder Takt aus dem vorhergehenden erwächst mit einer vorherbestimmten Unvermeidlichkeit, die das Kennzeichen höchster Kunst darstellt.“

Es ist sinnlos zu versuchen, die gewaltige Wirkung all dieser Musik im Detail zu beschreiben. Komplex und verwickelt, vulkanisch und kompromißlos, muß sie gehört, ja erlauscht werden, um gewürdigt zu werden. Für jene, die über die riesige Länge vieler Werke Sorabjis spotten, mag es zweckdienlich sein, zu lesen, was Sorabji über Mahler sagte:

„… in unserer Zeit, in welcher die Leute nach musikalischen Boulevardblättern verlangen, wie sie es für Fertigsuppen und andere ungesunde und schnell herzurichtende Artikel der körperlichen und geistigen Diät tun, sind gehaltvolle, umfangreiche Werke wie die Symphonien Mahlers, die eine gesunde und kräftige musikalische Verdauung erfordern, zu viel für jene, die nicht mehr als Snacks vertragen. Wer die Ursache für seine Verdauungsprobleme bei seiner Nahrung sucht, indem er letztere gedankenlos verdammt, ist menschlich, aber nicht besonders intelligent, und es ist eine Binsenwahrheit, daß sich ein geschwächter und entkräfteter Verdauungsapparat auch gegen die beste und gesündeste Nahrung sträubt.“

Ebenso kann gesagt werden:

„Sorabji hatte nie die Absicht, sein Werk mit Schwierigkeiten zu spicken um es unzugänglicher zu machen. Er hatte nicht das geringste Interesse an der Schwierigkeit oder an der Einfachheit um ihrer selbst willen.“

In seinem Aufsatz Of Simplicity schreibt der Komponist in Around Music:

„… wenn es etwas gibt, das an der östlichen Kunst mehr beeindruckt als alles andere, so ist es dies: Für den östlichen Künstler ist das Ideal der Einfachheit als Ziel und Zweck in sich selbst, als etwas, das um seiner selbst anzustreben ist, nicht nur völlig bedeutungslos und fremd, sondern es ist ihm gar nicht vorstellbar. Die Reimschemata der Persischen Poesie, Rubaiyi oder Quatrain, die Muster der Persischen Teppiche, die hinduistische Architektur, die chinesische Schnitzerei, sie alle zeigen komplizierte und komplexe Strukturen, symptomatische Kennzeichen von üppig reicher und tropisch fruchtbarer Phantasie, jubelnd in ihrer Kraft und strotzend vor Überfluß an Einfällen.“